Aktuell seit mehr als 40 Jahren: Feiningers "Große Fotolehre"

Sie ist inzwischen weit über 40 Jahre alt und hat dennoch nichts an ihrer Aktualität und Gültigkeit verloren. Ja, es mussten einige technische Parameter verschoben werden, denn schließlich schrieb Andreas Feininger seine "Große Fotolehre" zu Zeiten der analogen Fotografie. Und bis heute ist das fotografische Fachbuch nicht den Gegebenheiten digitaler Fotografie angepasst.  Daher ist es auch ein Geschichtsbuch der Fotografie im ausgehenden 20. Jahrhundert.Dennoch sollten sich viele Knipser von heute daran orientieren, wenn Feininger den Unterschied zwischen einem Knipsbild und einem Foto in zwei Sätzen beschreibt. Für ihn besteht "ein himmelweiter Unterschied  zwischen einem Foto, das lediglich "technisch einwandfrei" ist , und einem solchen, das die Bezeichnung gut oder ausgezeichnet verdient, ein Bild, das man vielleicht sogar als außergewöhnlich in Erinnerung behält".

Unter den hunderten von Millionen Bildern, die heute täglich gemacht und im Internet präsentiert werden, ist nur ein geringer Bruchteil, der das Prädikat gut verdient. Noch weniger sind "ausgezeichnet" oder bleiben gar in Erinnerung. Ein Bild kann zwar technisch perfekt sein; dann ist es an den richtigen Stellen scharf, korrekt belichtet, sachgemäß entwickelt und vergrößert" (hier liest man den Fotografen den analogen Zeitalters, digital gedacht hieße es wohl "sachgemäß und professionell bearbeitet", in der Dunkelkammer vergrößert wird ein Bild ja heutzutage nicht mehr), aber es hinterlässt beim Betrachter keinerlei Eindruck.

Aber das, so beruhigt Feininger, passiere auch dem besten Fotografen. Eigentlich will Feininger damit den Neulingen in der Fotografie sagen, sie sollen sich nicht ausschließlich auf die technische Seite des Fotoapparates verlassen. Der ist nur das Werkzeug. Das Bild entsteht im Kopf. Der Fotograf muss zwar die Technik beherrschen, aber der schöpferische, der kreative Aspekt ist mindestens ebenso wichtig. Meist sogar wichtiger, um ein Foto entstehen zu lassen, das beim Betrachter alle fünf Sinne anspricht und den Augenblick überlebt. Daher ist Feiningers "Große Fotolehre" für mich auch nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit der Fotografie eines der wichtigsten Nachschlagewerke in meinem Bücherschrank. Mehrfach habe ich es auch verschenkt an Menschen, die Fotografie als neues Hobby entdeckten.

Andreas Feininger, Sohn des Malers Lionel Feininger und der Bauhaus-Künstlerin Julia Berg, erhebt niemals den Zeigefinger, wird nicht dogmatisch in seinen Schriften. Er gibt Empfehlungen und nur dort, wo Physik und Chemie den Ton angeben, wird er verpflichtend. Ansonsten lässt er jedem seine schöpferische Freiheit und will niemandem seinen Stempel aufdrücken. Er vergleicht Fotografie mit der Übersetzung von einer Sprache in eine andere: "Jede Fotografie ist eine Übersetzung der Wirklichkeit in die Form eines Bildes. Und ähnlich wie eine Übersetzung von einer Sprache in die andere kann die visuelle Übersetzung der Wirklichkeit in die "Bildsprache" der Fotografie auf zwei grundlegend verschiedene Arten vorgenommen werden: buchstäblich oder frei."

Andreas Feininger "Große Fotolehre",
erschienen liegt hier in der 11. Auflage (erschienen 2001) als Taschenbuch im Heyne Verlag vor.
Preis 14,99 Euro in Deutschland, 15,50 Euro in Österreich.
ISBN 9783 4531 79752