Augen auf auf der Straße

Er setzt den "Street-Fotografen" mit einem Zauberer gleich, die dasselbe wollen: Beide leben nämlich nach Meinung von Fotograf und Autor Matt Stuart vom menschlichen Wunsch, "eine komplexe Realität in ein geordnetes Narrativ zu packen - dasselbe Narrativ, das wir gern mit Objektivität verwechseln", schreibt der 1974 geborene Brite im Vorwort zu "Augen auf - Fotografieren auf der Straße".

Meist sähe gelungene Street-Fotografie aus wie reine Glückssache. Dabei gebe es viele Möglichkeiten, diesem vermeintlichen Glück auf die Sprünge zu helfen, heißt es im Klappentext des 2022 auf Deutsch im Midas-Verlag erschienenen Buches (ISBN 978-3-03876-207-2, Preis 22 Euro). Stuart lege offen, auf einer belebten Straße unsichtbar zu bleiben. Was nicht schwer ist. Viel schwieriger ist, auf einer nur wenig belebtenStraße oder einem solchen Platz nicht aufzufallen.

Ob er nun aufgefallen ist oder nicht, lässt sich anhand der Beispielbilder nicht feststellen. Aber es sind einige ganz witzige Beispiele darunter. Der Mann hat einen Blick für skurrile Motive - oder weiß zumindest, sie zu arrangieren und dem Glück auf die Sprünge zu helfen. Aber nicht alle Fotos sind Beispiele herausragender Streetfotografie. Vielmehr stellen sie für mich eher schnell geknipste Motive dar: "Drücken Sie im Zweifel einfach ab. Erst auslösen. Dann denken", rät Stuart. Und genau das sieht man vielen Bildern eben auch an.

Aber auch als solche stellen sie natürlich eine künstlerische Arbeit dar, die in Deutschland unter das Kunsturhebergesetz fällt. Dennoch ist es immer auch eine nach dem Persönlichkeitsrecht fragwürdige Vorgehensweise. Stuart rät zu Skrupellosigkeit: "Eines der ersten Dinge, die man an der Universität oder in Foren für Street-Fotografie erfährt, ist, dass man keine Obdachlosen fotografieren soll." Das ist nichts für Stuart: "Man sollte Obdachlose fotografieren. Man sollte Behinderte fotografieren. Man sollte jeden und alle fotografieren." Fragt man ihn warum, antwortet er: "Weil es sie gibt. Wenn die Szene interessant genug ist, sollte man sie fotografieren." 

Die deutsche Gesetzgebung ist da deutlich restriktiver. Insbesondere vor der Veröffentlichung der Fotos sollte man sich gut überlegen, auf welch wackelige juristische Brücke man sich begibt. Zwar entschied das Bundesverfassungsgericht 2018, dass Street-Fotografie eine Kunstform sei(Az.: 1 BvR 2112/15, nachzulesen hier: https://www.rechtambild.de/2018/04/bundesverfassungsgericht-erkennt-street-photography-als-kunstform-an/), aber ein Street-Fotografie darf eben nicht alles und darf sich auf die Kunst und als Künstler eben keinen Freibrief ausstellen. Und schützt schon gar nicht nicht vor juristischen Schritten der ungefragt fotografierten gegen den Fotografen.